Von Helmut Kircher aus der AZ Günzburg/Ichenhausen vom 27.04.2016:
Sehnsucht, Seemannslos und Softpop
„Schätzle ade“ könnte man sagen. Und damit das gute alte Volkslied meinen. Denn, ist es nicht schon längst den munteren Bach runter gegangen, versickert im schönsten Wiesengrunde, verflogen wie der Frühtau zu Berge? Nicht wenige sind, angesichts einer alles niederpowernden Rock- und Popwalze, dieser Meinung. Stimmt so nicht, könnte man dagegenhalten. Zumindest nicht ganz. Die Chöre im Landkreis beweisen das Gegenteil.
Mehr als dreißig Chöre gehören allein dem Kreis-Chorverband Mittelschwaben an. Dessen Vorsitzende Anja Schinzel hat 130 Sänger aus fünf Chören des Landkreises zum alljährlichen Kreis-Chorkonzert in den Kaisersaal des Klosters Wettenhausen eingeladen. Und Gesamtorganisator Wolfgang Stainer ließ das Konzert als Volksliederbekenntnis mit Yes-we-can-Faktor stattfinden.
Mit flirrend-fröhlichem „Schalalala“ eröffnete Luitgard Weis mit den Mädchen des Kinderchores derChristoph-von-Schmid-Schule Thannhausen das Angebot an Gesang verschiedenster chorischer Linien dieses zweieinhalb Stunden-Konzertes, das einen frech-frommfröhlichen Zeitgeist aller vokalen Schattierungen abdeckte. Ein echter Seelenschocker das „Drama von den Entchen“, mit demdie hoffnungsvollen Nachwuchssängerinnen dem Zuhörergemüt ein mitfühlsames „ooooh“ entlockten. Im Übrigen, sie waren die Einzigen, die ihre Parts total auswendig sangen, selbst „Greensleeves“ und „Thy Word“ fanden ohne Spickzettel statt! Der gemischt-chorige Gesangverein „Kammeltaler“ aus Wettenhausen, hatte unter Leitung von Wolfgang Stainer seinen Wagen vornehmlich mit seemännischen Sehnsuchtsliedern vollgeladen. Im wogen- und wellenrauschenden Gefühlswärmestrom nutzte er seine ohrenschmeichlerischen Sangesmöglichkeiten zu herz- und seeleschmelzendem Wellnessbad. Swingende Sehnsucht, lustvolles Heimweh, Bellamarie, Juanita, Rio und Hawaii forderten nostalgisch gewichtete Gitarrentränen ewig währender Treue. Ersatzweise: Versinken vor Capri mit Sonne im Meer.Dazu die 50er und 60er mit Freddy & Co. Schön war die Zeit, lang ist’s her.
Der Männergesangverein Zusamklang Aichen ist nach eigenen Angaben beheimatet an einem abgelegenen Flecken, „wo sich Hase und Wildsau gute Nacht sagen“. Einer zwar kleinen Gemeinde, in der Chorgesang aber großgeschrieben werde. Sie pflanzten, mit sonorer Klangfarbe und eingängig melancholisch, Blumen ins grüne Feld, während am Bergheimathimmel die Sterne leuchteten. Chorleiter Christoph Maurer brachte seinen Mannen gar das Jodeln bei, denn das brauchten sie, für Hubert von Goiserns „Heast es net“, das sie mit Duliohduliöh auskosteten bis zum abschwellenden Pianissimo-Aushauch. Karl Schur animierte per Gitarre seine Popchorn-Sängerschaft aus der Chorgemeinschaft Liederkranz Krumbach zur Darstellung rhythmisierterSoft-Pop Entfaltung als beschwingte Leichtigkeit mit gute Laune machender Coolness. „Irgendwas bleibt“ natürlich aus dem nostalgisch durchpulsten Kulturforum vergangener Jahrzehnte, mit dem „When the night has been too lonely“ aus „The rose“, dem „Won’t you please, please help me“ des Beatlesongs „Help“, oder Leonard Cohens erhebend ewig jungem „Hallelujah“.
Mit flammender Intensität, mal mit, mal ohne Klavier, leitete Sara Sprengart ihre Sängerinnen und Sänger des Kissendorfer Gesangvereins Frohsinn (verstärkt durch den Kirchenchor Nersingen) zu wundervoll präziser, klar intonierter und klanglich dynamisch abgerundeter, polyphoner Vergnüglichkeit. „Welche Freude, welche Wonne“ Schuberts „Forelle“, die als „Nationalhymne der Fischer“ gilt, und angerichtet war à la Beethoven nach Wiener Art, dazu die lyrisch idyllische Begegnung mit dem Romantiker Johannes Brahms, und schließlich der mutige Griff in das Schatzkästlein patinierter, althergebracht treudeutscher Volksliedkultur mit dem Potpourri „Wohlauf in Gottes schöne Welt“. Ein Relikt aus einer Zeit der Begegnung von Dichtung und Musik in eine Zeit, in der Tradition wenig und radikaler Fortschritt alles ist.
Wird das Liedgut deutscher Prägung überleben? Darauf kann nur die Zukunft Antwort geben. Zum Schluss des Kreis-Chorkonzertes jedenfalls gab es Bravojubel und Begeisterungsbeifall.